Eidechsen Wilde Tiere

Emmis Winterproblem

Am 24. November haben wir unsere Emmi das letzte Mal gesehen. Spätestens ab Ende November verkriechen sich Mauereidechsen, denn die wechselwarmen Reptilien brauchen im Winter ein frostfreies Versteck. Dort bleiben sie bis zum März. Wird Emmi den Winter überleben? Und lebt sie überhaupt noch?

An den warmen Tagen des Novembers hat sie sich immer wieder auf dem Balkon gesonnt. Das Porträt oben hat mein Neffe Carl von ihr am vierten November auf einem ihrer Lieblingsplätze, dem dunkelgrauen Regler der Gardena-Bewässerungsanlage, gemacht. Zwei Tage vorher hing sie ebenfalls an einem Stammplatz in der Nachmittagssonne – siehe nächstes Bild.

Emmi am 2. November

Emmi hat sich auf ihrem Südbalkon-Revier lehrbuchmäßig verhalten: „In klimatisch besonders begünstigten Habitatbereichen (windgeschützte südexponierte vegetationsarme Abraumflächen und Felswände) können besonders lange Aktivitätsphasen auftreten, die bis Ende November gehen können“, schreibt der Biologe Ulrich Schulte. Danach erfolgt der Rückzug ins Winterquartier. Und hier liegt das Problem. Wo kann sie bei uns auf dem Balkon einen geeigneten Platz finden?

Fernab von Felsenspalten

Laut Schulte suchen Mauereidechsen im Oktober/November frostfreie Spaltensysteme auf, die bis zu zwei Meter tief sein können und in denen die Temperatur im Winter nicht unter 5 °C fällt. Und man geht außerdem davon aus, dass es keine große räumliche Trennung zwischen Sommer- und Winterlebensraum der Mauereidechse gibt. Das macht mir große Sorgen. Wenn Emmi schon mindestens ein Jahr alt ist (siehe Jürgen Gebhart im Beitrag Emmi – Fragen über Fragen) und einen Winter im Arnulfpark durchgestanden hat, wird sie wohl im Herbst ein bewährtes Winterquartier aufsuchen, dachte ich mir. Aber dem Anschein nach ist sie in ihrem neuen Revier auf dem Wilden Meter geblieben. Am 24. November in der Dämmerung meinte ich sie im trockenen Laub unter dem linken großen Topf mit Wildem Wein leise rascheln zu hören – also sehr weit entfernt von einer wintersicheren Felsspalte in zwei Meter Tiefe.

Zwischen Jute und Estrich

Als engagierte Eidechsen-Habitat-Vermieterin wollte ich zumindest das mir Mögliche zum Winterschutz beitragen. Dort, wo ich sie zuletzt gehört und wo ich aufgrund verschiedener Beobachtungen auch in den wärmeren Monaten ihr Hauptversteck vermutet habe, nämlich unter dem Holzrost der beiden großen Töpfe mit dem Wilden Wein, habe ich rund herum Dämmmaterialien angebracht. Mit Isomatten, Kokosmatten, Jutesäcken und Baumwollsäcken, die meine Mutter extra für Emmi gespendet und mit den Naturmaterialien Stroh und Sägespänen gefüllt hat, habe ich die Töpfe eingepackt und versucht, von allen Seiten den Durchzug von eisiger Luft direkt über dem Holzrost zu verhindern.  So sieht das nun aus:

Nebenbemerkung: Im Vordergrund sind man die kleine Steinmauer, die wir ihr mit einem Minigabionengitter gebaut haben. Emmi war leider total desinteressiert. Von wegen Mauereidechse, Emmi ist wohl eher eine Holzrosteidechse.

Falls sie tatsächlich dort unter dem Holzrost sitzt und den Zwischenraum zwischen Estrich und Holzplatten für sich als Felsspalte interpretiert, dann ist sie zumindest von oben etwas geschützt. Aber von unten ist leider nichts zu machen, da sitzt sie direkt auf dem Beton.

Frösteln unterm Rost

In München war es im Dezember schon so kalt, dass die Erde in den beiden Pflanzkübeln mit dem Wein schon ein paar Tage gefroren war, zumindest an der Oberfläche. Wie kalt wurde es wohl in diesen Tagen und Nächten unter dem Holzrost? Sitzt Emmi friedlich im Winterquartier und träumt von dicken Asseln und Spinnen, die sie im Frühjahr verputzen wird? Oder hat sie die erste Frostperiode schon hinweggerafft? Schulte berichtet, dass die Sterberate von Mauereidechsen im Winter ansteigt, wenn die Ressource frostfreie Mauerspalte knapp wird. Wie viel Kälte hält so ein kleines Reptil eigentlich aus, wenn es ernst, also eisig wird? Wissenschaftler schrecken vor nichts zurück und haben das an lebenden Mauereidechsen untersucht.

Kühlkammerversuche mit Mauereidechsen

Im Herbst 1988 sammelten Biologen in Cincinnati in Ohio, USA, Mauereidechsen einer Population norditalienischer Herkunft für das Experiment ein. Sie wurden mehrere Wochen bei 5 °C akklimatisiert bevor man Tests unter null Grad mit ihnen durchführte. Schulte fasst die Ergebisse zusammen: „Fast alle Tiere überlebten eine Abkühlung auf eine Körpertemperatur von -5  °C für eine Stunde, bevor sich Eis im Körper bildete. (…) Ein Individuum verkraftete eine Abkühlung auf -4,85 °C über 26 Stunden ohne Schädigung. (…) Einige Tiere überlebten sogar die Abkühlung bis zu einer Eisbildung von 28 Prozent der Zellflüssigkeit über 2 Stunden im Eidechsenkörper, obwohl bei der Bildung von Eiskristallen in der Regel Gewebe zerreißt und zerstört wird.“

Ungeachtet der ethischen Frage, was Wissenschaft darf, ist der Kühlkammerversuch für Emmi relevant, denn auch sie hat norditalienische Vorfahren (siehe Beitrag Emmi will hoch hinaus). Optimistisch betrachtet heißt das für mich, bei einem milden Winter und nur leichten Minusgraden im Winterquartier hat sie gute Chancen, die Münchner Märzsonne wiederzusehen.

Nachdem Emmi sich aber bisher immer recht lehrbuchmäßig verhalten hat, nagen dennoch leise Zweifel an meiner tierlieben Seele, ob sie nicht doch bereits ein Opfer der ersten Minustemperaturen geworden ist. Es ist nämlich eine biologische Besonderheit der Mauereidechsen, dass einzelne Tiere während der Wintermonate an sonnigen Tagen aus den Verstecken zum Sonnen herauskommen. Ausschlaggebend ist die Erwärmung der Oberflächentemperatur auf 12 – 14 °C , so dass Bewegungsaktivität möglich ist (Schulte). Es gab nach dem 24. November mehrere Tage, an denen zumindest die Luft auf dem Balkon über 14 °C warm war. Emmi war nicht zu sehen.

Falls sie noch lebt und tatsächlich dort unter den beiden großen Kübeln sitzt, könnte aber auch die Oberflächentemperatur direkt auf der Verpackung der Kübel zu niedrig gewesen sein, um sie zu einem Spaziergang zu animieren. Wegen der Säule auf der Südseite fehlt in der Ecke die direkte Sonneneinstrahlung zur Mittagszeit. Doch wieder Hoffnung.


Nachtrag vom 6. April 2018: Die Dämmmaterialien um die Töpfe habe ich gestern entfernt. Emmi war weder tot noch lebendig unter den Töpfen. Keine Spur von ihr. Wir haben sie seit dem 24. November nicht mehr gesehen. Die eisige Periode bis zu minus 15 Grad auf dem Balkon hat sie vielleicht nicht überlebt. Unter dem Lattenrost kann ich nicht nachsehen, weil der Wilde Wein am Rankgitter festgewachsen ist. Den müsste ich sonst ganz runterschneiden, um die Töpfe wegschieben zu können. Vielleicht ist sie auch an einen frostsicheren Ort umgezogen. Das wünsche ich ihr.


Quellen:

Diesener, Günter; Reichholf, Josef (1985): Lurche und Kriechtiere, Mosaik Verlag. In der Reihe: Die farbigen Naturführer. Zuverlässige und umfassende Bestimmungsbücher für den Naturfreund. Herausgegeben von Gunter Steinbach. Illustriert von Fritz Wendler.

Schulte, Ulrich (2008): Die Mauereidechse – erfolgreich im Schlepptau des Menschen, Bielefeld, Laurenti-Verlag. Kapitel 7.3 Jahresaktivität und Kapitel 7.4 Überwinterung und Winteraktivität.

Claussen, D. et al. (1990): Supercooling and freeze-tolerance in the European wall lizard, Podarcis muralis, with a revisional history of the discovery of freeze-tolerance in vertebrates. In: Journal of Comparative Physiology B.  | Hier online lesen

6 Kommentare zu “Emmis Winterproblem

  1. Der Artikel ist zwar schon eine Zeitlang her, für uns aber ganz aktuell. Meine Kinder haben heute im Garten eine ganze Zauneidechsen-Familie gefunden. Während unserer Zauneidechsen-Rechrche sind wir auf diese Homepage (https://www.reptilien-brauchen-freunde.de/zauneidechse2020) gestoßen. Dabei haben wir diesen Satz gelesen, der vielleicht auch für Deine Emmi interessant sein könnte: „Winterquartiere sollten dabei theoretisch möglichst tief sein, praktisch werden überwinternde Zauneidechsen selbst bei Frost oft knapp unter der Erdoberfläche oder sogar oberirdisch (in Laub, unter Moos) gefunden. Dies ist möglich, da die Tiere ein zeitweises Gefrieren ihres Körpers überstehen können.“

  2. So gut versorgt übersteht Emmi den Winter bestimmt.Auf dem Foto oben sieht sie ja richtig urig aus,wie ein kleiner Drache.

  3. Alles Gute dem Tierchen! Jetzt heisst es abwarten und hoffen … Liebe Grüsse von Regula

  4. Brigitte

    Ich moechte Carl zu dem Portätfoto gratulieren und wünsche Emmi auch das Beste. Sie könnte sich aber wirklich mal melden zwischendurch. Liebe Grüße Brigitte

  5. Anonymous

    Liebe Balkonbesitzer,
    zunächst einmal alles Gute für das neue Balkon-Jahr und viele neue Entdeckungen, die ihr mit uns teilen könnt! Ich bin schon gespannt…
    Denke auch wie Almuth, dass sich Emmi eine ruhige frostfreie Ecke ausgesucht hat und spätestens im März wieder auftaucht (ich wünsche mir das auch sehr).
    LG Birgit

  6. Liebe Katharina, erst einmal alles Gute für das Neue Jahr, Gesundheit und Glück und spannende Balkonerlebnisse 🙂

    Das mit dem Winterquartier und der Minigabione hätte von mir sein können 😉 Miß doch mal mit einem Thermometer die Temperaturen unter der Verkleidung bzw. wenn du rankommst, am Boden. Dann hättest du Anhaltspunkte. Meine frostempfindlichen Pflanzen stehen immer direkt an der Wohnungsmauer und denen scheint, zusätzlich mit Noppenvolie oder Verpackungsvlies abgedeckt, das gut über den Winter zu helfen. Allerdings können die mit Sicherheit bis 0 oder sogar unter 0 Grad ab und Emmi braucht ja 5. Daran habe ich gerade nicht gedacht.

    Trotzdem kann ich mir gut vorstellen, daß sie fündig wird und was geeignetes entdeckt. Eigentlich strahlen unsere Häuser doch eine Menge Wärme aus und Ritzen gibts immer und überall. Ich drücke ganz doll die Daumen, daß sie euch bald wieder besucht ! Da geht mir gerade noch durch den Kopf: sonnenbeschienene Steine wären natürlich besser und dann viell. sogar rote Backsteine. Die speichern die Wärme sehr lange. Das müßte man wohl erst mal genau erforschen, was da am geeignetsten ist….Viel Glück !!!!! Liebe Grüße von Almuth

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