Wenn ich in meinem Haus zu Fuß vom Erdegeschoss in den fünften Stock laufe, erkenne ich an jeder Wohnungstür, wer da wohnt, ohne den Namen am Klingelschild zu lesen. An einer Tür hängt ein Kranz aus Trockenblumen, an der anderen die Weihnachtsdeko vom letzten Jahr und beim nächsten liegt eine Fußmatte, auf der „Welcome“ steht. Bei Wildbienen ist das ein bisschen ähnlich.
Jede Art hat ihre ganz individuelle Art, das Nest zu verschließen. Sie verwenden unterschiedliche Materialien wie Lehm, Steinchen, Blätter oder Harz und machen daraus regelrechte Kunstwerke. Das Foto oben ist der Nestverschluss einer Scherenbiene und hat in Wirklichkeit einen Durchmesser von vier Millimetern. Ich finde, dieses Nistkunstwerk könnte auf der Documenta ausgestellt werden.
Experten können jedenfalls am Nestverschluss erkennen, welche Biene in dem Röhrchen seinen Nachwuchs untergebracht hat. Im Sommer ist ja durchgehend Betrieb an den Nisthilfen, aber der Winter ist ideal für derlei Balkonforschungen. Ich habe die Nestverschlüsse am 7. Januar fotografiert, nach Aussehen und Durchmesser sortiert und die Webseite des Wildbienenexperten Paul Westrich konsultiert. Dort gibt es Bilder der Nestverschlüsse häufiger Nisthilfenbesiedler. Auch vom vademecum-Verlag gibt es eine Bestimmungshilfe für Nestverschlüsse. Aber am Ende war ich doch oft ratlos.
Und dann das unfassbare Glück: Sowohl Paul Westrich als auch Andreas Fleischmann, ein Wildbienenexperte an der Botanischen Staatssammlung in München, waren bereit, die Verschlüsse anzusschauen und meine Bestimmung zu prüfen. Ich habe die Nestverschlüsse nach Materialien sortiert und mit den Kommentaren der Experten versehen in diesem Beitrag zusammengestellt.
Beim Betrachten der vergrößerten Nestverschlüsse kam mir immer wieder ein Zitat von Bernard Weber in den Sinn, das ich in einem der entomologischen Bücher gefunden habe: „Die Natur hasst die Gleichförmigkeit, sie liebt die Verschiedenheit. Vielleicht liegt darin ihr Genie.“
Interessante Hintergrundinformationen zu den Nestverschlüssen erfahren Sie im nächsten Beitrag in einem Interview mit Andreas Fleischmann.
Material: Lehm, raue Oberfläche
Zugehörige Insekten: Gehörnte Mauerbiene (Osmia cornuta), Rostrote Mauerbiene (Osmia bicornis); evtl. Lehmwespe Ancistrocerus
Kommentar Paul Westrich: „Nestverschlüsse von O. bicornis und O. cornuta lassen sich nicht unterscheiden.“
Kommentar Andreas Fleischmann: „All diese groben Nestverschlüsse können sowohl von Osmia bicornis, Osmia cornuta oder auch der Lehmwespe Ancistrocerus stammen, wobei letztere meist glatt sind. Bei diesen drei Arten machen aber die Weibchen auch individuell unterschiedliche Verschlüsse, es gibt glatter und grobere Mauerbienen-Verschlüsse bei derselben Art.“
Material: Lehm, glattere Oberfläche als auf den Fotos oben
Zugehörige Insekten: Gehörnte Mauerbiene (Osmia cornuta), Rostrote Mauerbiene (Osmia bicornis), Lehmwespe (wahrscheinlich Ancistrocerus nigricornis, da auf dem Wilden Meter sicher bestimmt). Lehmwespen machen meist glattere Verschlüsse als Mauerbienen.
Material: Lehm, Haufennest im Meisenkasten
Zugehörige Biene: Rostrote Mauerbiene (Osmia bicornis)
Kommentar Paul Westrich: „Die Weibchen dieser Art bauen immer mal wieder in vorhandenen größeren Hohlräumen ihr Nest und müssen dann aber ganze Lehmzellen bauen. In Röhrchen können sie sich die Seitenwände sparen. Das Foto zeigt auch schön die Rückkehr zum Nest. Im nächsten Augenblick wird das Weibchen nach der Nektarabgabe den Pollen in die Brutzelle bürsten.“
Kommentar Andreas Fleischmann: „Das ist ebenfalls Osmia bicornis. Selten macht sie bei viel Platzangebot Haufennester – in einem Vogelhaus habe ich das aber auch noch nie gesehen.“
Material: Lehm mit kleinen Steinchen
Zugehörige Biene: Scherenbiene, vermutlich Glockenblumen-Scherenbiene
Kommentar Paul Westrich: „Bei den Scherenbienen sollte man die Flugzeit beachten. Die Glockenblumen-Scherenbiene fliegt deutlich später als die Hahnenfuß-Scherenbiene. Ihre Nestverschlüsse sind gleich.“ Auf seiner Website findet man noch folgenden Hinweis: Der Nestverschluss der Hahnenfuß-Scherenbiene (Osmia florisomnis) wird im Winterzustand durch Pilzbefall schwarz, was für diese Art typisch zu sein scheint. Das konnte ich im Winter nicht beobachten, die Fotos sind vom 6. Januar 2018.
Material: Harz mit Sandkörnern, Steinchen und Holzspänen
Zugehörige Biene: Gewöhnliche Löcherbiene (Osmia truncorum)
Pflanzliches Material: Blattstückchen
Zugehörige Biene: vermutlich Luzerne-Blattschneiderbiene (Megachile rotundata)
Kommentar Paul Westrich: „Was Sie als Luzerne-Blattschneiderbiene vermuten, könnte vom Nestverschluss her passen, doch ist Anfang Juni etwas früh für diese Art. Auf der anderen Seite spricht die Bohrweite wieder dafür.“
Material: cellophanartiges Häutchen aus körpereigenem Sekret
Zugehörige Biene: Maskenbiene (Hylaeus )
Material: blauer Kunststoff
Zugehörige Biene: vermutlich Natternkopf-Mauerbiene (Osmia adunca)
Diese Bilder habe ich im Juni 2022 von einem Blog-Leser zugeschickt bekommen, ob ich wüsste, welche Biene diese hellblauen Verschlüsse machen würde. Der Durchmesser der verschlossenen Röhrchen sei etwa sieben Millimeter. Ich habe die Bilder an Andreas Fleischmann weitergeschickt und er konnte tatsächlich weiterhelfen.
Kommentar Andreas Fleischmann: „So etwas habe ich schon einmal gesehen, auch in blau. Das sind Kunststoffpartikel – damals in Bonn war es von Schaumstoff-Polsterung eines Kinder-Trampolins. Die Täterin ist wohl auch hier Osmia adunca – die tarnt ihren Nestverschluss oft mit abgeschabten Holzpartikeln. Oder eben anscheinend mit Kunststoff, wenn sowas in der Nähe ist und die richtige Konsistenz hat. Eine Biene, die unseren Plastikmüll verbaut – es gibt ja schon einige Tierarten, von denen bekannt wurde, dass sie unseren Wohlstandsmüll verwertet.“
Bilder: Axel Glatzel
Hier noch etwas Spezielles: Nestverschluss mit Loch
Das Loch deutet darauf hin, dass die Brut von einer Fliege parasitiert wurde. Die Fliege legt ein Ei in die Brutzelle und bedient sich am Pollenvorrat der Bienenlarve. Die Fliegenlarve beißt mit ihren kräftigen Mundwerkzeugen noch ein Loch in den Verschluss, bevor sie sich verpuppt. Die geschlüpfte Fliege kann dann durch das Loch ins Freie entkommen. Die Fliege hat kein Mundwerkzeug, nur einen Saugrüssel und würde den harten Lehm nicht durchbeißen können.
Danksagung:
Ich möchte sowohl Dr. Paul Westrich, Biologe und Wildbienen-Experte, als auch Dr. Andreas Fleischmann von der Botanischen Staatsammlung München und dort Betreuer eines Wildbienen-Forschungsprojekts, für die Sichtung der Fotos und die Bestimmung der Nestverschlüsse sehr herzlich danken!
Literatur, umfassende Informationen und viele Fotos:
www.wildbienen.info von Wildbienen-Experte Paul Westrich.
Kapitel: Bestimmung der Nestverschlüsse der wichtigsten Arten
Wildbienen & Wespen in Nisthilfen, vademecum-Verlag: 12-seitiger Faltflyer mit zwei Seiten zur Bestimmung der Nestverschlüsse der wichtigsten Arten. Zum Flyer beim Verlag
Wildbienenforschungsprojekt von Dr. Andreas Fleischmann: München sucht nummerierte Wildbienen. Dieses Jahr folgt Teil 2 des Mitmach-Projekts (citizen science).
Zum Beitrag Nestverschlüsse Teil 2 – Interview mit Dr. Andreas Fleischmann: „Das Wettrüsten von Räuber und Beute“
Phantastischer Beitrag!! Auch in meinem Garten tummeln sich viele dieser Geschöpfe und ziehen in eins der vier Insektenhotels ein. Dabei sticht als Verschluss die Farbe BLAU hervor. Hierüber habe ich im Internet NICHTS in Erfahrung bringen können. Weiß jemand, um welche Insekten, meines Erachtens Wildbienen, es sich handelt? Gerne würde ich hierüber mehr wissen!
Heimo
Von einer blauen Verschlussfarbe habe ich noch nie gehört. Es könnten höchstens blaue Blütenblätter einer Blattschneiderbiene sein, denke ich. Ich habe heute bei mir auf de Balkon beobachtet, wie eine Blattschneiderbiene, wahrscheinlich die Luzerne, Blattschneiderbiene, von einer Kornblume etwas rausgeschnitten hat. Wenn Sie mir ein Foto schicken, zeige ich es einem Wildbienenforscher. Vielleicht können wir die Nestbauerin identifizieren.
Hallo Wilder Meter, habe eben auch im Internet nach dem blauen Verschluss gesucht. Wir haben dieses Jahr erstmalig auch so etwas in den Hotels … würde Ihnen auch Bilder davon schicken, weil das schon interessant ist, wer da was als Verschluss verarbeitet. Danke auch für die schöne Übersicht hier!
Wohin kann ich die Bilder senden?
Gruß vom Axel
Hallo Axel, die Bilder bitte per E-Mail an die Redaktionsadresse senden: redaktion@wildermeter.de Ich bin keine Spezialistin, aber vielleicht kann ich jemanden fragen. Wichtig: Durchmesser der Bohrung und ein scharfes Foto. Herzliche Grüße, Katharina
[…] im Netz gute Beispiele – zum Beispiel hier beim BUND in der Region Hannover. Und auch der Wilde Meter – ein ausgezeichneter Blog einer Münchner Balkon-Bloggerin und Journalistin zeigt Fotos von […]
[…] sowie die Gehörnte Mauerbiene – Osmia cornuta – genistet. Allerdings lese ich beim Wilden Meter daß die Verschlüsse dieser beiden Arten nicht zu unterscheiden sind. Also reiner Zufall, daß die […]
Herrlicher Bericht! Darfst du gern in unserer Gruppe „Wir helfen Wildbienen“ teilen – nein nicht „darfst“, du „musst“ lach…
[…] Zum Beitrag Nestverschlüsse Teil 1 – Kunst am Bau […]
Ob wohl die Glockenscherenbiene stärkere Beisswerkzeuge hat als die Luzerne-Blattschneiderbiene? Das stell ich mir schon problematisch vor, diese Steine da von innen aufzubeißen. Schon erstaunlich: Alle lebendigen Wesen haben einen Körper, der sich durch den Raum bewegt und den Raum gestaltet. Das scheint den allermeisten Organismen irgendwie gemeinsam zu sein. Eigentlich sollte man hauptsächlich daran interessiert sein, dass alle Wesen das so machen können, wie es ihnen gemaess ist und wie es ihnen gefällt. Eigentlich sollte es nichts Wichtigeres geben. Dadurch entsteht eine erstaunliche Vielfalt schon im allerkleinsten, die die Welt zu einem faszinierenden Ort macht. Denn die Vielfalt scheint mir das allerwichtigste zu sein auf der Welt. Leider hat der Mensch keinen Respekt davor. Macht sich selbst so breit wie moeglich und entzieht den anderen Wesen ihre Lebensgrundlage. Ich glaube, dass das Insektenwesen und vor allem der genaue Blick auf ihre sonderbar schönen Brutstätten dieses Gefühl für Vielfalt stärken können. Das Gefühl dafür, wie viele verschiedene Arten und Weisen es gibt, auf der Welt zu Hause zu sein.
Sehr interessant,ich wusste zwar das man Wildbienen anhand der Nestverschlüsse unterscheiden kann,aber nicht das es eine so große Vielfalt davon gibt.
Super Beitrag. Vielen Dank. Würde ich gerne in meine Linkliste aufnehmen. VG
Hallo, sehr gerne! Vielen herzlichen Dank für Dein Interesse. Ich habe mich über den verlinkten Namen „Von hier“ im Kommentar zu Deinem Blog durchgeklickt und nun abonniert. Ich freue mich, bald von Dir zu lesen. Herzliche Grüße aus München, Katharina
[…] möchte ich euch jedoch den Blog Wilder Meter nahe legen. Katharina hat ebenfalls ihren Balkon für die Natur geöffnet. Was in München im 5. […]
[…] Wilden Meter […]
Sehr interessant.
Großartig! Hochinteressant! Ich bin sehr interessiert am Thema. Es ist eine faszinierende kleine Welt!
In der Tat, die Aufnahmen und der Text sind verschoben. Ich habe mir das ganze noch mal in Deinem Blog angesehen und bin fasziniert von den Aufnahmen und den guten Beiträgen über das vielfältige Leben auf Deinem Balkon!
Ein ganz fantastischer Beitrag!!! Jetzt müßte jeder in seinem Garten feststellen können, was er für Besucher hat und das allein durch den Nestverschluß. Was für eine aufwendige Arbeit. Ganz toll. Außerdem bewundere ich, was du alles für Wildbienen als Gäste hast. Das Konzept mit den Wildblumen geht bei dir ja voll auf. So viele Gäste habe ich auf meinem Balkon nicht (mehr die Grabwespen, als so viele Wildbienenarten). Eine Sache habe ich wiedererkannt: das Loch im Nestverschluß. Hier lauern immer wieder diese Taufliegen. Das das Loch von ihnen stammt, war mir nicht 100%ig klar. Jetzt weiß ich es, dank dir. Ach so: die Biene auf dem letzten Foto ist das eine Maskenbiene ? Die hatte ich hier auch schon, glaube ich 🙂
Erst mal danke für das Lob 🙂 Aufgrund des Nestverschlusses muss es eine Maskenbiene sein, aber die Art ist mit dem Foto nicht zu sagen, hat mir ein Entomologe gesagt. Im Botanischen Garten in München gibt es über 100 Arten von Wildbienen, hat mir Dr. Andreas Fleischmann gesagt. Ohne die entsprechenden Pflanzen und Brutbedingungen kommen die halt nicht. Dagegen ist meine Anzahl recht bescheiden, aber meine Fläche ist ja nur ein Bruchteil des Areals des Botanischen Gartens. Aber ich freue mich über jedes einzelne Bienchen, das zu mir auf den Wilden Meter kommt.
Das hört sich toll an mit eurem Botanischen Garten. Ich müßte hier mal anfragen, ob man dazu Zahlen hat. Ich war letztes Jahr im Botanischen Garten in Bremen und die haben eine ganz tolle „Insektenhotel“-Lehmwand mit vielen Löchern drin. Da herrschte das wilde Leben, aber man konnte nicht näher herantreten. Leider. Ich hätte ja zu gerne genauer hingeguckt. Die haben vielleicht mehr Erfahrung. Ich glaube hier ist das nicht so im Fokus. Aber wer weiß.
[…] über Nestverschlüsse: Kunst am Bau – Wilder Meter […]
Sehr schön erklärt! Auf meiner Wildbienenseite gibt es auch ein Ordner: „Nestbau-Material“ der die verschiedenen Verschlüsse zeigt!
Hallo Claude, danke für den Tipp! Sehr interessant! Schöne Grüße vom Wilden Meter, Katharina
Ein ganz toller Beitrag, so bisher noch nie gefunden.