Pünktlich zum ersten Mai öffnete sich eine violette Blüte des Steppensalbeis (Salvia nemorosa), den ich vergangenen August aus der Staudengärtnerei Spatz mitgebracht habe. Ich erinnerte mich, dass mir Gärtnerin Susanne Behmenburg gesagt hatte, es sei eine Kulturform, nicht die Wildform. Aber welche? Auf meine Nachfrage schrieb sie mir: Wenn er jetzt schon blüht, dann ist es die Sorte „Mainacht“. Ich habe sie spontan umbenannt in „Maiandacht“.
Die Maiandachten in der ostbayerischen Provinz gehören zu meinen schönen Kindheitserinnerungen, obwohl ich heute weder christlich noch gläubig bin. Die Dorfgemeinschaft traf sich abends vor dem blumengeschmückten, duftenden Marienalter und sang innige Lieder. Wie könnten Blüten, Wohlgerüche und Musik ein Kindergemüt nicht erreichen? Maiandachten gab es schon im Mittelalter. „Sie hatten die Aufgabe, überkommene heidnische Maifeiern zu verchristlichen“, schreibt der NDR in seinem Kirchenlexikon. Naja, das kennt man ja als religiöse Marketingstrategie auch von Kirchenfeiertagen. Später im 19. Jahrhundert hat sich das „Format“ Mainadacht, wie man heute sagen würden, sehr erfolgreich von Norditalien aus in die ganze christliche Welt verbreitet.
Marienlieder haben mir als Kind so gut gefallen, dass ich mit meiner Freundin im Nachbardorf manchmal in die dortige Dorfkapelle gegangen bin, um mit ihr Marienlieder zu singen, auch wenn der Mai dann vorbei war. Aus heutiger Sicht eine recht lustige Freizeitzeitbeschäftigung von Kindern. Aber das war Anfang der 70er-Jahre: kein Handy, kein Internet, drei Fernsehprogramme, kulturferner Standort. Wir strawanzten meistens uns selbst überlassen draußen herum und mussten, oder besser durften uns selbst beschäftigen.
Spaziergang im Mai
Und wie hat sich der Balkon nun im Laufe des Maifrühlings entwickelt? Längst ist es Zeit für einen Rundgang auf dem Wilden Meter, den sich manche Leser von mir auch ausdrücklich gewünscht haben. Doch im Wonnemonat musste ich zunächst die Lektüre der EU-Datenschutzgrundverordnung hinter mich bringen. Aber jetzt geht‘ los!
Werfen wir zuerst einen schnellen Blick auf beide Balkone. Zum Vergleich stelle ich jeweils ein Bild aus dem April darunter. Ich bin ziemlich beeindruckt von der Entwicklung meiner Pflanzen auf dem Extremstandort Balkon. Anschließend machen wir einen Bilderspaziergang zu den Blumen, die im Mai geblüht haben oder noch blühen.
Auf beiden Balkonen wachsen Stauden, einjährige Ackerwildkräuter und Wilder Wein. Die komplette Liste finden Sie unter Wilde Pflanzen A-Z. Im Mai sollten eigentlich drei verschiedene Allium-Arten auf dem Wilden Meter für die Bienchen blühen, aber die Zierlauch-Zwiebeln sind, wie auch fast alle anderen Blumenzwiebeln der Frühblüher leider durch den späten Frost in zu nasser Erde kaputt gegangen (siehe Beitrag Die Krokus-Krise). Nur der Kugellauch (Allium sphaerocephalon) hat es überstanden, aber der blüht erst später.
Blüten im Mai: Stauden
Wir beginnen den Bilderspaziergang beim Steppensalbei „Mainacht“ und seiner Nachbarin, der Karthäusernelke (Dianthus carthusianorum). Der Ziersalbei wächst seit August 2017 in einem Blumenkasten mit anderen Stauden in selbstgemischter Erde. Er hat so auf dem Balkon überwintert und wird gerne von meinen älteren Rostroten-Mauerbienen-Damen besucht (siehe Titelbild ganz oben). Die Karthäusernelke habe ich im März gekauft und allein in einen Topf in Dachgartensubstrat gepflanzt. Das Dachgartensubstrat intensiv von Vulcatec ist in dieser Saison bei mir zum ersten Mal in einigen Kästen und Töpfen zum Test im Einsatz. Die Karthäusernelke hat sich prächtig entwickelt. Allerdings können nur Insekten mit einem langen Rüssel den Nektar dieser Nelkenblüten trinken. Die bevorzugten Bestäuber sind Tagfalter, die sehr selten auf den Wilden Meter kommen. Doch mein Mann liebt Nelken und so erfreuen wir uns an ihnen.
Auch auf der Gewönlichen Pechnelke (Silene viscaria) im nächsten Bild, ebenfalls eine typische Falterblume, konnte ich keinen Gast beobachten. Wie die Karthäusernelke wächst sie seit März in einem Topf mit Dachgartensubstrat und hat reich, aber kurz geblüht.
Bereits im April geblüht hat auch das Mauer-Zimbelkraut (Cymbalaria muralis). Es ist klein und zierlich, aber zäh. Es blühte seit seiner Ankunft im August 2017 den ganzen milden Winter hindurch, obwohl die „offizielle“ Blühzeit im September endet. Erst während der harten Fröste im März kapitulierte es. Am 8. April habe ich alle abgestorbenen oberirdischen Teile weggeschnitten. Es trieb sofort wieder aus, blühte erneut am 22. April und blüht noch immer. Auch jetzt hält es sich nicht an seinen Gärtner-Steckbrief. Es sollte eigentlich erst im Juni blühen.
Die Gelbe Resede (Reseda lutea) blieb auf dem Wilden Meter unter ihren Möglichkeiten. 30 bis 70 Zentimeter soll sie hoch werden, unsere schaffte in etwa 20. Vielleicht gefällt es ihr im Topf nicht, aber vielleicht entwickelt sie sich auch noch nach einer längeren Eingewöhnungszeit, sie ist relativ neu auf dem Wilden Meter, seit Ende März 2018. Sie wächst im Terracaotta-Topf in Dachgartenerde, zusammen mit Gewöhnlichem Natternkopf.
Die Gewöhnliche Ochsenzunge (Anchusa officinalis) habe ich im August 2017 mit Gewöhnlichem Natternkopf und Färberkamille in einen Kasten mit selbstgemischter Erde gepflanzt. Sie ist recht klein geblieben im Vergleich zu den Exemplaren im Freiland, hat sich aber der Jahreszeit entsprechend gemäß ihrem Gärtner-Steckbrief entwickelt und wird von Bienen und Hummeln besucht.
Die nächste Pflanze lieferte die Gärtnerei Strickler im April 2016 als blinden Passagier im Töpfchen des Ährigen Blauweiderichs. Ich glaube, es ist eine Teufelskralle. Aber welche genau, weiß ich nicht. Sie hat jedenfalls im Laufe der Zeit nicht mehr Platz im Kasten beansprucht als beim Einzug: ein Stängel, eine Blüte. Im Frühjahr habe ich die Pflanzen in diesem Kasten aus der drei Jahre alten selbstgemischten Erde genommen und in Dachgartensubstrat gesetzt.
Den Aufrechte Ziest (Stachys recta) habe ich im März zusammen mit einer Rispenflockenblume (Centaurea stoebe) in einen 5-Liter-Topf in Dachgartenerde gepflanzt – beides ungeplante Spontankäufe am Stand der Staudengärtnerei Spatz bei der Pflanzentauschbörse in Haar. Der Ziest hat drei Stängel mit hübschen zierlichen gelblichen Blüten gebildet, die auch Gäste hatten. Sie sind ungefähr 25 Zentimeter hoch geworden.
Die erste Gelbe Skabiose (Scabiosa ochroleuca) habe ich 2015 im Wildpflanzen-vhs-Kurs für den Balkon auf gut Glück aus dem Pflanzenangebot von Barbara Stark mitgenommen. Als die Pflanze anfing zu wachsen und zu blühen, war ich entzückt von ihrer Schönheit. Inzwischen habe ich fünf Stück von verschiedenen Gärtnereien. Jedes Jahr ist eine dazu gekommen. Leider habe ich inzwischen vergessen, welche von welchem Gärtner und aus welchem Jahr ist. Sie sollen sich im Garten durch Aussamen stark verbreiten, aber im Kasten beanspruchen sie eigentlich immer nur ihr Plätzchen und sind nicht sehr expansiv. Die Blüten haben sehr viele Gäste.
Im Gegensatz zur zartgelben Skabiose breitet sich der sonnengelbe Gewöhnliche Hornklee (Lotus corniculatus) gerne in alle Richtungen aus. Er hatte im ersten Jahr soviele Liebhaber, dass ich mir noch einen zweiten zugelegt habe. Der wächst wegen seiner Expansionsgelüste allein in einem Topf, blüht aber noch nicht. Die blühende Gelbe Skabiose und der blühende Hornklee sind Nachbarn in einem Kasten, in dem ich im Frühjahr auch das drei Jahre alte selbst gemischte Substrat gegen Dachgartensubstrat ausgetauscht habe.
Diese einzelne Grasnelke (Armeria maritima) kam wie die Teufelskralle als blinder Passagier auf den Wilden Meter. Sie war mit im Töpfchen des Berglauchs, der derzeit noch nicht blüht. Man hat gleich gesehen, dass einige Blätter etwas anders geformt sind und ich war auf die Zugabe sehr gespannt. Im August 2017 habe ich sie in einen Topf mit selbstgemischter Erde eingepflanzt, Anfang Mai hat die Grasnelke einen Stängel und eine Knospe entwickelt und blüht jetzt. Sie hat viele Gäste, sogar Wildbienen als Übernachtungsgäste.
Im Bild unten sehen Sie einen Abkömmling meiner Ackerglockenblume (Campanula rapunculoides), die seit Mai 2015 bei mir immer im selben Topf war und zu meiner Freude zuverlässig geblüht hat. Sie wurde von mir zur Berlohnung vergangenen Herbst ins Freiland gepflanzt. Ihre Nachfolgerin kommt nicht so richtig vorwärts. Freundlicherweise hat sich aber meine alte Pflanze vor ihrem Abschied im großen Topf des benachbarten Kugellauchs selbst ausgesät. Nachdem Ackerglockenblumen eher Alleinherrscher im Topf sind, bin ich gespannt, wie sich diese WG entwickeln wird. Die Pflanzen stehen in torffreier Bio-Pflanzerde. Die Stängel der Ackerglockenblume sind nun ungefähr einen Meter hoch. Die Blüten sind sehr beliebt und werden auch als Schlafplatz von Wildbienen aufgesucht.
Eine weitaus zartere und niedriger wachsende Verwandte der Ackerglockenblume ist die Rundblättrige Glockeblume (Campanula rotundifolia). Auch sie lebt bereits im vierten Jahr auf dem Wilden Meter, bescheiden in ihren Platzansprüchen. Drei Jahre lang blühte sie im Blumenkasten in selbstgemischter Erde, dieses Jahr ist sie auch in Dachgartensubstrat umgezogen und sehr gut gewachsen. Kaum war die erste Blüte offen, hat auch schon ein Bienchen darin übernachtet.
Selbstausgesät im Kugellauchtopf: Echte Kamille, Klatschmohn und Phazelie
Zwischen den einzelnen Kugellauchpflanzen im großen Topf siedeln sich oft einjährige Ackerwildkräuter aus der Wildblumenmischung an, die ich jedes Jahr in den Kästen ansäe. Die haben zeitlich schon etwas Vorsprung vor den Pflanzen, die erst im nächsten Jahr im März von mir ausgebracht werden und blühen früher.
Die Wildblumen-Ansaaten für Wildbienen (Wildblumen-Mischung M12 von Syringa)
Von den ersten Blüten des Ackersenfs und der Ackerringelblumen habe ich im vorherigen Beitrag „Vom späten Wert des Latinums“ (11. Mai) schon berichtet. Weitere Arten haben die ersten Blüten geöffnet. Ein kurzer Überblick über die täglich bunter werdende Miniwiese.
Maiandacht heute
Seit den frühen Siebzigern hat sich in meinem Heimatdorf viel geändert, aber Maiandachten gibt es immer noch. Der linke Seitenalter mit der zentralen Marienfigur wird wie eh und je mit rosa Hortensien und stark duftenden Pfingstrosen geschmückt, das Altarbild hinter Maria, „Die Enthauptung der hl. Barbara“, mit einem hellblauen Vorhang verhüllt, um die Muttergottes in den Mittelpunkt zu stellen. Am gestrigen Sonntagabend fand die letzte Maiandacht der Saison statt. Meine Mutter ist nicht hingegangen. Für ihre Begründung hatte ich vollstes Verständnis: „Es ist nicht mehr schön. Die singen keine schönen Marienlieder mehr, sondern nur noch so modernes Zeugs.“
Quelle Maiandacht: NDR
[…] etwa haben die Stauden angefangen zu wachsen und den Balkon zu begrünen. Die Bilder ähneln dem Rundgang im Mai vor einem Jahr. Zum ersten Mal haben verschiedene einjährige Arten, die sich selbst ausgesät haben, als kleine […]
Das mit der Maiandacht hast du so wunderschön beschrieben, man spürt die spirituelle Tiefe, die da angesprochen wird in einem Kindergemüt. Mir ist als protestantisches Kind ja so viel entgangen, das ist unglaublich. Die Maiandacht. Die Muttergottes. Das Kommunionskleid. Das Blumenstreuen an Fronleichnam. Ich kann mich noch gut an das spirituelle Vakuum erinnern, an die Trauer und den Kummer, den das als Kind in mir erzeugt hat, wenn ich all die Gebräuche aus der Ferne beobachtete. Allerdings hatten wir die netteren Pfarrer, liberal und weltoffen, während die katholischen Pfaffen wirklich gemeingefährlich waren und die Kinder im Religionsunterricht immer geohrfeigt haben. In unserem Reli-Unterricht gings revolutionär zu, was wurde da gemalt, gespielt, diskutiert, ohne jede Gewalt und ohne jeden Zwang. Ja, so war das damals, in der Oberpfalz auf dem Land.
Ich hoffe, mein Kommentar ist angekommen. Noch mal tippe ich nicht so viel 😉
Liebe Almuth, aus dem heiteren Himmel spinnt dieser Kommentar-Filter manchmal. An den Einstellungen habe ich nix verändert. Und interessanterweise hat das System den zweiten Kommentar akzeptiert. Ich habe deinen Kommentar nun erst einmal ans Licht der Welt befördert und nun werde ich ihn lesen 🙂
Toll, was auf deinen paar wilden Metern alles wächst! Von solchen Balkonen müßte es deutlich mehr geben. Wobei sich auch so mancher Gartenbesitzer mit deutlich mehr QuadratMetern ein paar Ideen bei dir holen könnte…
Vielen Dank für den heißersehnten Rundgang! Das ist absolut spannend für mich. Zum einen Teil kann man mal vergleichen, von Balkon zu Balkon, zum anderen Teil neue Pflanzen auf die Wunschliste setzen (mit dem gelben Hornklee liebäugel ich auch!) Interessant auch, was bei dir besucht wird. Die Grasnelken habe ich schon seit ca. 20 Jahren(?) und ich sehe sehr selten Insekten daran und schon gar keine übernachtenden Wildbienen (muß wohl gleich noch mal raus ;-). In manchen Jahren hat sie 40 Blüten. Letzten Sommer hat sie sich wieder sehr verausgabt und zeigt jetzt nur 1 bis 2! Jedenfalls interessant, daß sie bei dir besser angenommen wird, als bei mir hier. Welche Bienen gehen denn da rein? Dann ist es wohl doch sehr abhängig davon, was in der Gegend an Leben vorkommt!
Toll anzusehen ist ja auch deine Wildblumenmischung. Das sich die langen Halme im Kasten so gut halten hätte ich nicht gedacht. Knicken die nicht leicht um? Und deine Glockenblumen, von welchen Bienen werden die besucht? Ich freue mich auch immer über neue Pflanzen-Gäste und Begleiter, die so ihren Weg auf den Balkon finden! Die Nelken sind übrigens auch sehr schön.
Ach ja, das mit der Wachstumshöhe bei manchen Pflanzen, das frage ich mich bei der Baumscheibe auch gerade. Ich habe etwas ausgesät (Wildblumen vom BUND) und dort blühen jetzt so Miniblümchen, bei denen ich nicht weiß, ob das so gewollt ist oder ob die aufgrund des Bodens und der Trockenheit nicht mehr können?! Leider stand auf der Packung nicht, was drin ist, aber sie sind schon sehr klein!! Alles weitere Erfahrungswerte für uns. Dann gieß mal fleißig bei der Hitze, damit alles so schön üppig bleibt! LG, Almuth
P.S.: So einen Hornklee muss ich mir auch noch zulegen 😉
Hallo Katharina,
sehr schöner Rundgang auf deinem Balkon. Wie ich sehe, sind die Münchner Pflanzen schon deutlich weiter als die Gewächse der norddeutschen Tiefebene 🙂
Viel Freude noch mit deinem Balkon.