Die Balkone rings um meinen Wilden Meter sind noch kahl und leer, denn die Eisheiligen vom 11. bis 15. Mai stehen bevor. Sie bringen oft Kaltlufteinbrüche mit nächtlicher Frostgefahr. Und solange sollte man seine Geranien und Petunien aus den geheizten Gewächshäusern lieber nicht ins Freie bringen. Meine Wildpflanzen wachsen schon fleißig seit März und es ist eine Freude ihnen, dabei zuzuschauen. Die Eisheiligen sind ihnen herzlich egal. Ich glaube, „Weichei“ oder „Warmduscher“ heißt in der Pflanzensprache „Geranie!“ Heute gibt es den ersten Rundgang des Jahres über den sprießenden Wilden Meter, und Blüten gibt es auch schon.
Die Große Sternmiere (Stellaria holostea), die im Titelbild blüht, ist ein Neuzugang im Pflanzpaket für schattige Balkonkästen. Sie gehört zu den Nelkengewächsen und wird laut Wikipedia vom Hornkraut-Tageulchen (Panemeria tenebrata) als Nektarpflanze genutzt und dient in der Natur weiteren Eulenfaltern und Spannern als Raupen-Futterpflanze. Hornkraut-Tageulchen gibt es in Bayern, aber es war leider noch keins zu Besuch. Da Schmetterlinge nicht zu den häufigen Gästen auf dem Wilden Meter gehören, hätte ich mir die Pflanze, die mir aus dem Freiland bekannt ist, wahrscheinlich nie für den Balkon ausgesucht. Was hätte ich verpasst! Ums kurz zu machen, selbst wenn nie ein Hornkraut-Tageulchen vorbei kommen wird, gebe ich die Große Sternmiere nicht mehr her, ich bin total verliebt in die zierliche Schönheit.
Sternmiere, Sterntaler … Irgendwie kam ich auf die Idee, nach Märchen oder Sagen zu suchen, in denen die Sternmiere vielleicht eine Rolle spielt. In Deutschland bin ich nicht fündig geworden, aber in England: In Devonshire in England hielten die Bauern die Echte Sternmiere in Ehren und pflückten sie nicht, da sie Angst hatten, sonst von den Elfen entführt zu werden. Die zarten weißen Blüten standen unter dem Schutz des „Kleinen Volks“.
Falls Sie keinen Draht zu Elfen und Sagen haben, jetzt kommen noch die gärtnerischen Informationen, die der Große Sternmiere einen Stammplatz als Balkonwildblume sichern könnten: An einer Pflanze blühen nicht alle Blüten auf einmal, sondern an den Stielen nacheinander. Daher zieht sich die Blütezeit einer Pflanze über mehrere Wochen hin. Die erste Blüte ist bei mir am 15. April aufgegangen, das Foto ist vom 7. Mai. Ich bin gespannt. Bei mir ist der Elfenliebling ja noch ganz neu.
Der Kriechende Günsel, der im Pflanzpaket für den halbschattigen Balkonkasten von Staudenspatz dabei war (siehe Titelfoto vom 16. April), ist der erste Günsel auf dem Wilden Meter, der gesunde stramme Günselblüten macht. Ich habe schon mehrere Pflanzen ausprobiert, auch schon an diesem Standort, die ich dann alle irgendwann ausgepflanzt habe. Sie sind einfach nicht gewachsen und haben schon gar nicht geblüht. Dem hier scheint es zu behagen. Er ist gewachsen, macht Ausläufer und blüht. Gäste habe ich aber noch keine gesehen.
Überall sprießt es. Mitte März etwa haben die Stauden angefangen zu wachsen und den Balkon zu begrünen. Die Bilder ähneln dem Rundgang im Mai vor einem Jahr. Zum ersten Mal haben verschiedene einjährige Arten, die sich selbst ausgesät haben, als kleine Pflanze den Winter auf dem Wilden Meter verbracht und profitieren im Frühjahr nun von ihrem Wachstumsvorsprung. Die Kornblumen, die man auf dem nächsten Foto sieht, haben schon eine stattliche Größe erreicht und dicke Knospen, die bald aufblühen.
Dazwischen befinden sich noch andere Stauden in Töpfen. Hervorzuheben ist diese Pflanze der Großblütigen Königskerze (Verbascum densiflorum) bzw. hebt sie sich selbst hervor. Während die zweite Pflanze, die ich am gleichen Tag in einem anderen Topf eingepflanzt habe, 18 Zentimeter groß ist, ist diese hier 45 Zentimeter hoch. Sie scheint noch Großes vorzuhaben.
Die Blüten des Purpurlauchs öffnen sich gerade, haben sich aber noch nicht ganz zu runden Kugeln entfaltet. Weil es kühl ist, bin ich nicht oft auf dem Balkon und weiß nicht, ob schon ein Bienchen zu Besuch war.
In einem Topf mit Stauden blüht eine Echte Kamille (Matricaria recutita), die ebenfalls bereits im Herbst aufgegangen ist. Der Topf, in dem sie wächst, steht geschützt an der Hauswand, kam aber ansonsten nicht in den Genuss eines weiteren Winterschutzes. Während die Geranie jetzt schlapp über den Topfrand hängen würde, schmückt die Kamille lebensfroh meinen Topfgarten.
Beim Ansäen der einjährigen Sommerblumen für diese Saison halfen im März zwei junge Damen. Sie haben nichts miteinander zu tun, waren nur zufällig gleichzeitig da. Meine Nichte Freya (li.) war übers Wochenende zu Besuch. Kunststudentin und Imkerin Katharina besichtigte den Wilden Meter, weil er einen Kurzauftritt in ihrer Abschlussarbeit an der Akademie haben wird, in der eine Honigbiene die Hauptrolle spielt. In ihrer ersten E-Mail an mich schrieb sie: „In meiner Arbeit geht es um Grünflächen in München, drei Kilometer, rund um meine Bienenstöcke im Akademiegarten herum. (…) Ihr Projekt, finde ich deshalb spannend, weil es sich mit der kleinen Grünfläche, dem Balkon, beschäftigt, aber über die Spießigkeit des Bionade-Biedermeiers hinausgeht.“
„Bionade-Biedermeier“, den Begriff kannte ich noch nicht, fand ihn aber sehr amüsant. Das Internet wusste, dass der Begriff bereits einen Wikipediaeintrag hat und von Henning Sußebachs in einer Reportage über den Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg im Zeit-Magazin geprägt wurde. Der wiederum hat dann zehn Jahre später verraten, dass sein Kollege Tillmann Prüfer der Texter der Artikelüberschrift gewesen ist.
Was aber war nun mit Bionade-Biedermeier gemeint, zu dem mein Wilder Meter laut Katharina nicht gehört? Ich zitiere Wikipedia: „Das Getränk Bionade wurde zum Symbol von Ernährungs- und Konsumgewohnheiten stilisiert. Kennzeichnend für den Biedermeier in diesem Zusammenhang ist vor allem der Rückzug in die private Gemütlichkeit und eine Abkehr von einem breiteren politischen oder gesellschaftlichen Engagement. Das politische Schlagwort Bionade-Biedermeier soll demnach ausdrücken, dass Formen des nachhaltigen Konsums ‚echtes‘ gesellschaftliches oder politisches Engagement ersetzen und in erster Instanz das Wohlbefinden der handelnden Personen steigern.“
Ob und wie das nun in die künstlerische Arbeit einfließen wird, weiß ich nicht. Ich hoffe aber, das Werk einmal lesen und Ihnen hier vorstellen zu dürfen.
Zwischen dem Bild mit den Mädchen und dem nächsten Bild liegen siebeneinhalb Wochen.
Am Tag der Aussaat schlüpften endlich die von den Männchen heiß ersehnten Weibchen der Gehörnten Mauerbienen und nutzten den Besuch im Eifer des Gefechts gleich mehrmals als Paarungsstätte.
Von den Einjährigen, die an diesem sonnigen Sonntag Mitte März gesät wurden, ist der Acker-Senf am weitesten und bereits kurz vor der Blüte.
Nun wieder zurück in den Staudengarten: Größtenteils verblüht ist das Berg-Steinkraut, das im Pflanzpaket für sonnige Balkone dabei war. Das Foto links ist vom 7. Mai, das Detailfoto „Biene auf gelber Blüte“ vom 7. April.
Ein echter Leistungsträger ist die Sorte Mainacht des Steppen-Salbeis (Salvia nemorosa ‚Mainacht‘). Nachdem er vergangenes Jahr von Mai bis Oktober in seinem klitzkleinen Blumenkasten unermüdlich durchgeblüht hat, ist er nach der Winterpause seit Anfang Mai mit vielen neuen Blüten schon wieder voll im Einsatz. Bestnote von mir für dieses fleißige Balkonblümchen!
Seit die Traubenhyazinthen verblüht sind, scheint die Gewöhnliche Ochsenzunge (Anchusa officinalis) die Lieblingsblume der Männchen der Rostroten Mauerbienen (Osmia bicornis) zu sein. Sie blüht seit Ende April. Ich stelle mir das mit dem Nektar so vor wie mit den Eissorten beim Sarcletti am Rotkreuzplatz. Sie sind alle süß, aber jede schmeckt anders. Ich würde zu gerne mal die verschiedenen Nektarsorten schmecken dürfen.
Zwei Gewöhnliche Grasnelken (Armeria maritima) teilen sich seit September 2018 einen Topf, sie haben gut überwintert und blühen gerade auf. Ich hoffe, dass in der nächsten Saison noch mehr Blütenköpfchen gebildet werden. Ich habe gelesen, dass weniger Blüten bei Jungpflanzen normal seien.
Die Karthäusernelke hat den zweiten Winter auf dem Wilden Meter verbracht. Im ersten Frühjahr hat sie über 20 Stängel mit Blüten gebildet, dieses Jahr nur zwei. Schade, denn sie ist die Lieblingspflanze von meinem Mann. Ich weiß leider nicht, woran es liegen könnte.
Auch in allen Kästen und Töpfen wächst das Laub der Stauden schon in verschiedenen Formen und Grüntönen. Links im Vordergrund sieht man die Sorte ‚Blauhügel‘ des Steppensalbeis (Salvia nemorosa), die seit August im Kasten ist, überwintert hat und nun auch bereits Knospen bildet. Im Hintergrund ein Topf mit Berglauch (Allium senescens), rechts eine Skabiose (Scabiosa).
Noch ein Ausschnitt aus dem Topfnaturkleinststaudengarten. Hier haben sich sogar zwei hellgelbe Blütenstände der Gelben Resede (Reseda lutea) versteckt. Die Resede ist aktuell 19 Zentimeter hoch und wird bei mir auch nicht mehr viel größer, im Freiland erreicht sie bis zu 70 Zentimeter.
Die Frühlings-Platterbse (Lathyrus vernus) ist verblüht und bildet dekorative rote Schoten.
Bei den frühblühenden Zwiebelpflanzen neigt sich die Saison dem Ende zu. Auch bei den Traubenhyazinthen (Muscari) bilden sich die Früchte. Alle fünf verschiedenen Arten sind nun verblüht.
Hier noch ein Rückblick auf die Blüten der Traubenhyazinthen, die im Frühlingsanfang-Beitrag vom 5. März noch nicht vorgestellt wurden, weil sie erst später geblüht haben. In einem Topf und einem Kasten strahlten die Kleine Traubenhyazinthe der Sorte Superstar (Muscari botryoides ‚Superstar‘) zusammen mit der Armenischen Traubenhyazinthe (Muscari armeniacum) und Breitblättrigen Traubenhyazinthe (Muscari latifolium) in Blau. Alle fünf Muscari-Arten wurden von den Weibchen und Männchen der Mauerbienen gut besucht.
Auch die beiden Tulpen, die ich im Herbst gepflanzt habe, sind erfolgreich gewachsen und haben geblüht. Die gelbe Zwerg-Stern-Tulpe (Tulipa tarda) ab Anfang April, die rosa-gelbe Felsen-Tulpe der Sorte ‚Lilac Wonder‘ (Tulipa bakeri ‚Lilac Wonder‘) ab Mitte April.
Die ganze Wahrheit zu dem Tulpentopf werde ich in den nächsten Tagen in einem eigenen Beitrag verraten. Er gehört in die Kategorie „Balkonkatastrophen“.
Quellen und weitere Informationen
Wikipedia-Eintrag: Große Sternmiere
www.natur-lexikon.com: Große Sternmiere
Wikipedia-Eintrag: Bionade-Biedermeier
Website zu Elfen: Elfen und Pflanzen
T. F. Thiselton Dyer, Folk-lore of Plants, 1889: Biodiversity Heritage Library (Um nach Textstellen zur Großen Sternmiere zu gelangen die Suchbegriff „stichwort“ oder „stellaria“ eingeben.)
Zum Thema Selbstaussaat…bei mir klappt das leider so garnicht. Nur der Asiasalat, den ich vor ca. 6 Jahren in einem Topf hatte, der sät sich aus-quasi wie Unkraut. Vielleicht noch eine Ringelblume hier und da. Aber das (erwünschte) „Unkraut“ will nicht. Ich hatte ja eigentlich mit einem grünen Flor in jedem Topf am Balkon gerechnet, den ich auslichten müsste.
Wildblumen wohnen hier erst seit letztem Jahr. Ich werde mich in Geduld üben.
Ach ja, die Schattenbepflanzung klappt auch viel besser als die im Westen.
Danke für deinen immer informative Blog! Liebe Grüße aus Vöcklabruck, Dani
Vielleicht ist die Sache mit den Kathäusernelken so etwas wie die Mastjahre bei Eichen und Buchen, die alle 3-4 Jahre übermäßigen Fruchtbehang haben und sich dazwischen von der Kraftanstrengung erholen müssen? Fehlende Nährstoffe oder erschöpfte Erde (s. Wittsches Buch auf Seite 52ff) würde ich bei der auf natürlichem Standort Trocken- und Hüngerkünstlerin, die auf dem Wilden Meter erst seit 2 Jahren wohnt, eigentlich ausschließen…
Ich hab ihr sogar ein bisschen organischen Biolangzeitdünger gegeben, als sie im März anfing auszutreiben. Eine Naturgartenfreundin hat eine Dachterrasse, dort hat sie in den Boden ein 3 x 4 m Dachgartenbeet in den Boden eingelassen – wie einen Minigarten, nur 10 cm Substrattiefe, mit Abfluss natürlich. Dort wachsen unter anderem die Karthäusernelken in praller Sonne prächtig, ohne Dünger und ohne Gießen. Ich hatte schon mal eine, die nicht so recht bei mir wachsen wollte. Jetzt lasse ich sie auf jeden Fall da, wo sie ist und warte wie sie sich die nächsten Jahre entwickelt. Auspflanzen kann ich sie immer noch.
Meiner Karthäusernelke geht es dieses Jahr ähnlich. Sie hat (bisher) gar keine Blütenstengel ausgebildet. Ich werde sie im Herbst in karges Dachgartensubstrat umpflanzen … vielleicht gefällt es ihr dort dauerhaft besser.
Meine steht in Dachsubstrat (Vulcatec). Ich hatte schon mal eine, mit der ging es mir auch so und mit den Felsennelken (Petrorhagia saxifraga) ist es auch so: Im zweiten Jahr werden sie arg weniger, im dritten Jahr sind sie verschwunden.
Meine hat sich schon nach 1 Jahr verabschiedet. Versuche es dieses Jahr wieder. Neue Nelke, neuer Standort, neues Glück.
Hallo Katharina,
immer wieder schön, deine Rundgänge. Und Glückwunsch, dass nun auch der Ajuga reptans besser mitspielt 🙂
Liebe Almuth, liebe Balkonmitstreiterin, der Steppensalbei der Sorte Mainacht hat so lange geblüht, ich habe laufend die verblühten Blüten weggeschnitten und dann hat er nicht aufgehört, neue Blüten zu machen, der nette Kerl! Die Sandgrasnelke, die du 20 Jahre im Topf hast, ist ein Fall für Reinhard Witt für die nächste Ausgabe des Topfbuchs. Schreib ihm das doch mit einem Foto, ich bin mir sicher, dass er interessiert ist! Und ich bin auch interessiert und schau gleich mal, wo noch ein Plätzchen frei sein könnte 🙂 Die Großblütige Königskerze hatte ich schon letztes Jahr und war begeistert. Mit großem Interesse habe ich deinen Beitrag auf deinem Blog über die Kleinblütige Königskerze gelesen. Das Einzelporträt der Pflanze auf deiem Balkon fand ich super. (Für alle Mitleser, man findet es hier: https://naturaufdembalkon.wordpress.com/2019/05/10/heimische-wildblume-fuer-den-balkon-die-koenigskerze/) Das Foto vom Ackersenf schicke ich Dir per E-Mail. … Und ich freue mich schon auf die Rundgänge über deinen Balkon dieses Jahr 🙂
Sehr schöner Artikel liebe Katharina! Nicht nur spannend, was bei dir alles wächst und schon blüht (der reinste Wahnsinn!), sondern wie immer mit netten Schmunzeleinlagen 🙂 Der Steppensalbei blüht mehrere Monate? Ich glaube, ich muß umsteigen. Mein Salbei blüht nur kurze Zeit und dann selten noch ein zweites Mal, ganz klein. So einen durchgehenden Salbei hätte ich auch gerne. Die Pflanze, die jetzt nur so wenige Blüten hat, muß sich vielleicht vom Hitzesommer erholen. Ich habe auch immer mal wieder Pflanzen, die „Pause“ machen. (Zierschnittlauch hat 3 Jahre gar nicht geblüht, jetzt hat er Riesenknospen!). Meine bald 20 Jahre alte Sandgrasnelke hat oft 40 Blüten, manche Jahre nur 5. Also vielleicht braucht sie Zeit, die Karthäusernelke. Und du hast eine Großblütige Königskerze??? Mutig 🙂 Ich habe nur die Kleine und die wird schon groß (habe gerade zum xten Mal über sie geschrieben). Ich bin gespannt, wie groß sie bei dir wird. Die wächst vermutlich bis zum Dach! Deinen Ackersenf hatte ich unten ausgesät und ich glaube, hier oben. Wie sehen denn die jungen Blätter aus. Hast du zufällig ein Foto? Hach, ich freue mich, daß du hier zeigst, was man alles machen kann. So üppig und so schön! Nimm das, Geranie, haha! Klasse!