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Interview: Was treibt die Fliege im Winter?

Interview: Fliegen im Winter

Gestern wurde die Uhr auf Winterzeit umgestellt, meine Schwester hat schon mit dem Plätzchen backen angefangen. Die kalte Jahreszeit steht vor der Tür. Auf dem Wilden Meter kehrt dann Ruhe ein, die Insekten haben sich verkrochen, verpuppt oder sterben mit den ersten Frösten. Die einzige Ausnahme: Fliegen. Ich sehe sie jedes Jahr an milden Tagen häufig auf Pflanzen herumsitzen oder herumkrabbeln. Ich habe den Fliegenexperten Klaus von der Dunk, Mitglied im Kreis Nürnberger Entomologen, zu dieser Beobachtung befragt.

Herr von der Dunk, überwintern Fliegen als erwachsene Tiere?

Die wenigsten Fliegen überwintern als Imago, also als erwachsenes Tier. Das können nur die „dickleibigen“, die genügend Reservestoffe im Körper speichern können, wie zum Beispiel die Blaue Schmeißfliege (Calliphora vicina) auf Ihrem Foto [Anm. d. Rd.: siehe Titelfoto]. Die meisten Fliegenarten sind zu klein. Die Überwinterung als Ei ist daher die normale Methode, um über die kalte Jahreszeit zu kommen.

Könnte es sein, dass die Blaue Schmeißfliege auf meinem Balkon überwintert und an milden, sonnigen Tagen raus kommt? Oder sitzt die sonst woanders und kommt dann auf den Südbalkon, weil es da so schön warm ist? Wenn sie auf dem Balkon überwintert, wo verkriechen sie sich?

Für den Winter verkriechen sich die Schmeißfliegen in gut geschützten Nischen oder Ritzen. Manchmal kommt es vor, dass sie z. B. durch Lüftungsanlagen Zugang zum Hausinneren finden, sich dort massenhaft einfinden und dann allerdings bald sterben, weil sie den Ausgang nicht mehr finden und durch die Wärme ihre Reservestoffe zu schnell aufbrauchen. Sie vertrocknen eher, als dass sie verhungern.

Wie überstehen die Fliegen die Minustemperaturen?

Sie müssen sich ein Versteck suchen, das frostfrei bleibt. Wenn der Körper durchfriert bilden sich Eiskristalle in den Körperzellen, die die Zellen spätestens beim Auftauen zerstören. Nur wenige Insekten (bekannte Ausnahme Zitronenfalter) bilden eine Art Frostschutzmittel, das ein Durchfrieren verhindert.

Nachdem Sie die Fliegen auf meinen Fotos bestimmt haben, kann man feststellen, dass es neben der Blauen Schmeißfliege noch zwei andere Arten aus der Familie der Calliphoridae, also Schmeißfliegen, sind, die im Winter auf dem Balkon aktiv werden. Ist das typisch für diese Arten?

In Mitteleuropa kommen über 100 Calliphoriden Arten vor. Es können auf dem Balkon auch andere Arten auftreten. Die Blaue Schmeißfliege – Calliphora vicina – und die Goldfliege – Lucilia caesar – sind aber die häufigsten und auffälligsten.

Goldfliege (Lucilia caesar)
Die Goldfliege (Lucilia caesar) schimmert goldgrün-metallisch – diese hier sonnt sich auf dem Wilden Meter.

Wenn diese Fliegen an milden Tagen aktiv werden, warum machen die das? Das verbraucht ja Energie. Brauchen sie dann nicht auch Nahrung und wo finden sie dann etwas zu fressen?

Für alle Überwinterer gilt, dass warme Zeitabschnitte während des Winters gefährlich sind. Die Temperatur kurbelt den Stoffwechsel an, aber ausreichend Nahrung und Wasser sind kaum zu finden.

Können Schmeißfliegen auch im Winter Eier legen?

Unwahrscheinlich. Die Sinnesorgane melden „ungünstige Bedingungen“ und der angeborene Instinkt wird die Eiablage verhindern.

Wie lange leben Schmeißfliegen? Bei den Honigbienen ist es ja so, dass die Arbeiterinnen vier bis sechs Wochen leben, aber die, die überwintern leben viel länger. Ist das bei überwinternden Fliegen auch so.

Genauso.

Gibt es noch andere Fliegenarten bzw. Fliegen-Gattungen in Deutschland, die als Imago überwintern? Bei unseren Tagfaltern sind es ja nur wenige Arten. Kommen davon welche im Siedlungsbereich vor und könnten sie evtuell mal auf meinem Balkon landen?

Auf Anhieb fällt mir da die Schwebfliege Episyrphus balteatus ein. Auch die Stubenfliege Musca domestica kann draußen als Imago überwintern. Es gibt aber noch viele weitere Arten. Z. B. ein Komposthaufen als Lebensraum voller Nährstoffe, Feuchtigkeit und Wärme bietet eine gute Möglichkeit für die Überwinterung der Imagines.


Zu Dr. Klaus von der Dunk:

Klaus von der Dunk (1943-2022) studierte Biologie, Chemie und Geographie an der Universtiät Erlangen (Lehramt) und promovierte 1971 über Moosgesellschaften. Von 1971 bis 2003 arbeitete er als Lehrer am Musischen Gymnasium in Erlangen, außerdem hielt er von 1980 bis 1990 Seminare über Forstbiologie an der Uni Erlangen. Ab 2003 war er im Ruhestand. Von der Dunk beschäftigte sich seit seiner Schulzeit mit Insekten und war spezialisiert auf Dipteren (Zweiflügler: Mücken und Fliegen), besonders auf Schwebfliegen, Wollschweber, Raubfliegen und Dickkopffliegen. Er war Vorstandsmitglied im Kreis Nürnberger Entomologen und leitete die Redaktion der jährlich erscheinenden Fachpublikation galathea.

Biografie Klaus von der Dunk (Zoologisch-Botanische Datenbank)
Kreis Nürnberger Entomologen


Die Goldfliege in der Forschung: Ausstellungsobjekt am Tag der offenen Tür des Biotopia-Naturkundemuseums in München
Die Goldfliege (Lucilia caesar) in der Forschung: Ausstellungsobjekt der Zoologischen Staatssammlung München am Tag der offenen Tür 2019 des neuen Biotopia-Naturkundemuseums.

3 Kommentare zu “Interview: Was treibt die Fliege im Winter?

  1. […] Galathea den Anstoß gegeben hat, den Wilden Meter als Beitrag in den Band 37 aufzunehmen. Ein Interview mit Dr. von der Dunk zum Thema „Was treibt die Fliege im Winter?“ findet man ebenfalls hier im […]

  2. Endlich! Das wollte ich schon immer mal wissen. Vielen Dank für dieses aufklärende Interview!!! Im Übrigen mag ich Fliegen irgendwie. Sie sehen immer so putzig aus, wenn sie sich die Hände reiben 😉

  3. Nun ist die Fliegenplage im Haus gebannt. Wenn es draussen kühler wird, treibt es die Plaggeister ins Haus. Sie schwirren mir um den Kopf oder über die Hände, beides ist extrem nervig. Nein, meine Freundinnen sind sie nicht. Trotzdem natürlich ist jedes Tierchen interessant.

    Liebe Grüsse von Regula

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