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Die schlaue Knoblauchsrauke

Ameise trinkt Nektar an extrafloralen Nekatarium der Knoblauchsrauke

„Was machen die da nur?“, fragte ich mich, als ich Anfang Mai bemerkte, dass meine Balkonameisen tagelang an der Knoblauchsrauke (Alliaria petiolata) herumlungerten. Oft saßen sie ganz still und bewegten sich nicht. Ameisen besuchen auf dem Wilden Meter auch Blüten, aber die Blüten der Knoblauchsrauke waren schon welk, abgeblüht. Die Tiere saßen unterhalb der Blütenstände oder auf den Stängeln der Pflanze. Es waren auch keine Blattläuse zu sehen, die von Ameisen an Pflanzen als Zuckerlieferanten gehalten und bewacht werden. Nach einigen Tagen beschloss ich, der Sache auf den Grund zu gehen und holte mein Makro.

In der Vergrößerung sah man, dass die Ameisen immer an Einkerbungen bzw. Verdickungen an Stängeln saßen und ich meinte auch zu sehen, dass sie etwas verzehrten.

Ameise leckt Nektar an einem extrafloralen Nektarium.
Eine Ameise interessiert sich für die knotige Verdickung am Stängel einer Knoblauchsrauke.

Ich wusste, dass es bei manchen Pflanzen extraflorale Nektarien gibt, also Organe außerhalb der Blüte, die süßen Nektar produzieren. Bei der Knoblauchsrauke konnte ich dazu aber keine Informationen finden.

„Die Weltliste der Pflanzen mit extrafloralen Nektarien“

Ich schrieb an Dr. A. Jane Marczewski, eine sehr nette Botanikerin. Im Januar und Februar hatte ich bei ihr an der Münchner Volkshochschule einen Botanikkurs besucht. Auch sie fand in der Literatur nicht gleich eine Erklärung: „Ich habe die ‚World list of plants with extrafloral nectaries‘ gecheckt (ja, es gibt tatsächlich so was), aber Knoblauchsrauke (Alliaria petiolata) war nicht dabei – keine einzige Art in diese Familie (Brassicaceae). Diese Liste wird, so glaube ich, von einem Team der Universität Michigan geführt, stützt sich aber auf Berichte, die ihnen oft von Bürgerwissenschaftlern übermittelt werden.“

Post-florale Nektarien

Jane recherchierte weiter im englischsprachigen Raum und fand den Bericht „Ants and Extra-floral Nectaries“ von Rosemary Winnall am Worcestershire Biological Records Centre. In diesem Bericht ist auch die Knoblauchsrauke (engl. garlic mustard) dabei. Die Nektarien werden von der Autorin als „post-floral nectaries“ beschrieben. Also Nektarien, die nach der Phase der Blüte gebildet werden. Und sie liefert auch eine Erklärung dafür: „Post-floral nectaries are found after the flower has died back and the fruits or seedpods are developing. The presence of ants in this situation helps to protect the developing seeds from being eaten. So far I have seen this on Ivy and Garlic Mustard.“ Die Pflanze lockt also nach Auffassung der Autorin Ameisen durch süßen Nektar an, weil Ameisen nicht nur Süßes mögen, sondern auch pflanzenfressende Insekten auf dem Speiseplan haben. So fungieren sie als Leibwächter der Knoblauchsrauke und ihrer Samen.

Janes Fazit lautete: „Ich bin jetzt ziemlich sicher, dass die Ameisen auf deinem Balkon post-florale Nektarien an der Knoblauchsrauke besuchen und dass die Pflanze die jungen Samen so vor Fressfeinden schützt.“

Ich war beeindruckt: Meine Knoblauchsrauke handelt strategisch. Die Idee mit den postfloralen Nektarien und den instrumentalisierten Ameisen fand ich ziemlich schlau.

Beim Eintrag „Nektarium“ auf Wikipedia habe ich bei weiterer Recherche noch eine Aussage gefunden, die eine andere These zur Erklärung „Ameise auf Knoblauchsrauke“ vertritt: „Einige Pflanzen besitzen postflorale Nektarien, die noch lange nach dem Verwelken der Blüte funktionieren und z. B. Ameisen anlocken, um bei den Pflanzen die Samenverbreitung zu unterstützen.“ (Quelle: S. W. Nicolson, M. Nepi, E. Pacini: Nectaries and Nectar. Springer, 2007, ISBN 978-1-4020-5936-0, S. 32–43) Bekannt war mir bisher nur die Strategie von Pflanzen, Samen mit einem fettreichen Anhängsel auszustatten, dem Elaiosom. Die Ameisen nehmen den Samen dann mit, futtern das Elaiosom und lassen den Rest liegen.

Meine Ameisen haben auf jeden Fall nicht die Samen mitgenommen, sondern nur den Nektar geschleckt.

Ameisen verköstigen sich mit Nektar an extrafloralen Nektarien der Knoblauchsrauke.
Nicht nur unterhalb der Blüten, auch auf tieferen Etagen der Knoblausrauke verweilten Ameisen, um sich mit Nektar an extrafloralen Nektarien zu verköstigen.

Schmetterlingsfutterpflanze Knoblauchsrauke

Knoblauchsrauke in voller Blüte
Blühende Knoblauchsrauke im April. Sie war in einem Topf mit der Sumpfdotterblume als blinder Passagier eingewandert. Auf dem Foto ist die Sumpfdotterblume gerade verblüht.
Blütenstand der Knoblauchsrauke
Die Knoblauchsrauke gehört zu den Kreuzblütlern: Die Nektardrüsen sind am Blütenboden ringförmig angeordnet.

Den Nektar, der bestäubende Insekten anlocken soll, bietet die Knoblauchsrauke am Blütenboden am Grund der Staubblätter an. Laut Floraweb.de gehören Schwebfliegen, Bienen und Falter zu den Blütengästen. Der Aurorafalter (Anthocharis cardamines), ein Tagfalter, saugt beispielsweise gern am Nektar der Knoblauchsrauke. Der Schmetterling nutzt die Blume neben dem Wiesenschaumkraut auch als Futterpflanze für die Raupen. Den Aurorafalter als Bütenbesucher konnte ich schon öfter beoachten und fotografieren, ein Foto einer Raupe ist mir im Frühjahr 2024 das erste Mal gelungen.

Aurorafalter trinkt Nektar an der Blüte der Knoblauchsrauke.
Ein Aurorafalter trinkt Nektar an der Blüte der Knoblauchsrauke an einem Froschteich in Karlsfeld bei München.

 

Raupe des Aurorafalters an einer Knoblauchrauke.
Raupe des Aurorafalters an einer Knoblauchrauke im Wald bei Wolfratshausen

Welche weiteren Schmetterlinge die Knoblauchsrauke als Futterpflanze mögen, kann man auf Floraweb.de nachlesen: Artsteckbrief: Knoblauchsrauke als Schmetterlingsfutterpflanze


 

Quellen und weiterführende Informationen:

Wikipedia-Eintrag Knoblauchsrauke
Die Knoblauchsrauke auf floraweb.de
Wikipedia-Eintrag Nektarium
Lexikon der Biologie: extrafloral/extranuptial
World list of plants with extrafloral nectaries
„Ants and Extra-floral Nectaries“ von Rosemary Winnall

Dr. A. Jane Marczewskimit Etlingera elatior bei einer Botanikreise in Sumatra im Jahr 2009
Dr. A. Jane Marczewski
mit Fackel-Ingwer (Etlingera elatior) während einer Botanikreise auf Sumatra

Grundkurs Botanik 1: Der nächste Kurs „Wunderbare Welt der Pflanzen“ von Jane findet voraussichlich im Dezember 2025  oder Januar 2026 statt.
Dozentin: Dr. A. Jane Marczewski, Porträt auf der Website der Münchner Volkshochschule (mvhs)

 

 

4 Kommentare zu “Die schlaue Knoblauchsrauke

  1. DAS ist ja spannend! Muß ich nächstes Jahr unbedingt mal drauf achten!!! Danke für die Recherche und den Bericht! 🙂

  2. Großartig Katha! Danke für die tolle Recherche – und die für mich neuen Worte: „Nektarien“ und „postfleural“ – herrlich. Herzlichen Gruß an die Münchner postfleuralen Genießerinnen.
    Sylvia

  3. Hallo Katharina,
    wie interessant und spannend zu lesen❣️ Vielen herzlichen Dank. Nun sehe ich die Knoblauchrauke und Ameisen hier nochmal mit anderen Augen 💚

    Liebe Grüße
    Marie

  4. Dany (Balkonien á la Dany)

    Liebe Katharina! Hab mal wieder ganz herzlichen Dank für deinen tollen Bericht, Recherchen und Fotos! Es ist wie immer ein informativer Hochgenuss und passte gut als Lektüre zu meinem Kaffee 👍🤗🙏🤩

Hinweis: Ich freue mich über alle Kommentare und den Austausch mit Leserinnen und Lesern. Leider verschluckt das System aber die Kommentare manchmal und ich muss diese erst nachträglich online stellen. Ich bitte deshalb um Geduld und Verständnis!