Meine Mutter rechnet noch in Tagwerk. Laut Wikipedia kommt das von dem althochdeutschen Wort „tagawerch“, früher die übliche Bezeichnung für die Arbeit, die an einem Tag geleistet werden konnte. Entsprechend bezeichneten Bauern damit jene Landfläche, die zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang bearbeitet werden konnte.

Dabei legte man im Allgemeinen ein Ochsengespann zu Grunde, denn Pferde hatten in der Epoche der Grundherrschaft (etwa in der Zeit vom Frankenreich bis 1848) nur wenige der Bauern oder Halbbauern zur Verfügung. In Bayern umfasst ein Tagwerk rund 3.408 Quadratmeter. (Die Wiese oben im Bild misst insgesamt ein Dreivierteltagwerk. Sie gehört meiner Mutter.) Die Preußen arbeiten nur am Vormittag, deshalb haben die nur die Einheit „Morgen.“ Das ist natürlich sehr verkürzt dargestellt – die ausführliche Information dazu gibt es auf Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Tagewerk).

Mir hat der Begriff „Tagwerk“ schon als Kind gefallen.  Auch meine Oma und mein Opa haben ihn benutzt. Er ist so schön anschaulich, indem er besagt, dass man einen Tag lang schwer gearbeitet und etwas geschafft hat, auf ein Werk zurückblicken kann. Ich höre da auch die Belohnung für die Mühen: Jetzt darf man sich auf die Bank vor dem Haus setzen, eine Zigarette rauchen, ein Bier aufmachen, sich unterhalten und das Werk des morgigen Tags planen. Vielleicht macht das Sabinchen, unsere Lehmwespe auch, wenn sie abends noch einmal aus ihrem Röhrchen nach draußen schaut.

Das Tagwerk eines Fleißigen Wespchens

Von ihrem Einzug am 12. April hat sie bis gestern Nachmittag gebraucht, ein Röhrchen mit der Brut zu füllen und sachgemäß zu verschließen. Sie war durch Regen- und Kältetage um Ostern lange aufgehalten worden. Gestern kam sie mit dem letzten Lehmklümpchen zurück, mörtelte kunstfertig die Öffnung zu und flog sofort wieder vor den anderen Eingängen herum, um eine weitere bebrütbare Röhre zu finden. Ohne eine Sekunde Pause. Es scheint keine Wespchen-Gewerkschaften zu geben. Und ungerechterweise gibt es auch nicht den Ausdruck „Fleißiges Wespchen“.

Sabine war sehr wählerisch, probierte einige Öffnungen aus, kam unzufrieden schnell wieder raus, war lange unentschieden. Am Ende schien sie sich für ein Röhrchen entschieden zu haben und flog weg. Unser Tagwerk erforderte es aber, sie nicht weiter zu beobachten.

Heute Vormittag flog sie los, brummte gegen die Glasscheibe, stürzte auf den Balkon und zitterte dort eine Weile rum. Wir dachten, sie sei jetzt schon altersschwach, ihre ohnehin knappen Lebenstage seien gezählt und sie würde jetzt vor unseren Augen in den Wespenhimmel eingehen. Aber wahrscheinlich war sie nur morgensteif und vom Zusammenprall mit der Glasscheibe benommen.

Nach einer Weile hob Sabinchen ab und flog in die warme Arnulfparkfrühlingsluft hinaus. Soeben konnte ich sie mit „etwas“ im Maul einfliegen sehen. Und die Fleißige macht schon die zweite Röhre zu. Für deren Anlage hat sie nur rund 24 Stunden gebraucht. Es war warm und sie konnte von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang fliegen.

Über Solitärwespen findet man nicht viele Informationen. Bei Helmut Hintermeier finden wir den Hinweis, dass Lehm- und Mauerwespen in einem Röhrchen drei bis vier Brutzellen anlegen. Das hieße, Sabine hat seit gestern drei bis vier Eier gelegt. Ich hab den Bienen und Insekten auch Wasser auf den Balkon gestellt, mit einem Landestein – den hat mein Neffe letztes Jahr ausgesucht, am Starnberger See. Im Balkonreservoir hat Sabine auch Wasser geholt, während der letzten Baumaßnahmen.

Als sie das letzte Mal mit dem Köpfchen gegen den Lehmdeckel gedrückt hatte, flog sie noch in der nächsten Sekunde ins nächste Loch, um einen weiteren Nistplatz zu testen. Und weiter ging es. Der pure Stress.

Das fleißige Wildbienchen

Das Tagwerk einer Wildbiene widmet sich ebenfalls den Brutzellen im Röhrchen: Pollen und Nektar eintragen, Ei darauf ablegen, Zelle mit Lehm zumörteln. Wenn es regnet oder zu kalt ist geht gar nichts vorwärts. Heute hat es im Schatten auf dem Balkon rund 20 Grad und auf dem Balkon herrscht reger Flugverkehr. Ich muss wahrscheinlich bald einen Tower einrichten, der Abflug- und Landeerlaubnis erteilt.

Die beiden Mauerbienchen haben noch keine Namen, wir überlegen noch. Sie sind sehr hübsch! Ein dickes brummendes Insekt (keine Hummel) kam gerade auch zu mir ins Büro rein und untersuchte Hohlräume im Bücheregal.

Weibchen der Rostroten Mauerbiene

Nach näherer Betrachtung am Abend, als die erste das Röhrchen von außen zugemörtelt hat und sich ausgiebig betrachten ließ, glaube ich nun, dass es eine Rostrote Mauerbiene ist, Osmia bicornis.

Nachtrag vom 24. April

Heute Vormittag wurde mir ein Blick auf die ganze Biene ermöglicht, als sie von außen den Deckel des Röhrchens noch mit mehr Lehm verstärkte. Offensichtlich war sie gestern doch nicht ganz fertig geworden, der Deckel war ihr noch nicht dick genug. Da konnte man die für die Rostrote Mauerbiene und die Gehörnte Mauerbiene typischen kleinen zwei Hörnchen sehen. Aufgrund des restlichen Aussehens und der Flugzeit handelt es sich also eindeutig um die sehr häufige Rostrote Mauerbiene.

Hier geht es zum Steckbrief von Paul Westrich: Osmia bicornis

1 Kommentar zu “Das Tagwerk

  1. Putzwespchen

    Ich glaube, ich bin ein fleißiges Putzwespchen!!!! Nur gut, dass in unserem Haus die Bäder und Klos nicht ausgehen und immer etwas zu putzen ist. Und dann gibt es noch die Wasch- und Bügelwespchen. Mit denen bin ich auch verwandt. … morgen wird gegrillt. Da hat das Kochwespchen wenigsten mal frei. Nur das Grillsaubermachwespchen muss ran….. äh das bin ja auch ich 🙁

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