Fliegen Wilde Tiere

Die Fliege, die nicht isst

Da saß sie auf einmal auf dem sonnenbeschienenen Parkett, gleich hinter der Balkontür: die Flügel hochgeklappt, wie ein Falter auf einer Blüte, mit zwei langen nadelartigen Schwänzen, die an ein Silberfischchen erinnerten und mit Fühlern wie von einer Fliege. Ein Insekten-Wolpertinger. Vielleicht gefährlich, dachte ich als Hypochonder, wahrscheinlich exotisch, eingeschleppt aus den Tropen. Erst einmal festhalten und fotografieren – Trinkglas drauf, gefangen.

Leider hat das Tier den Transport mit dem System „Glas und Blatt Papier“ vom Wohnzimmer auf den Balkontisch nicht überlebt. Kinder, die zu Besuch waren, haben es hinausgetragen, während ich den Fotoapparat geholt habe. Beim Absetzen auf dem Tisch wurde das Insekt unglücklich eingeklemmt, verstarb sofort an Ort und Stelle und lag dann mit auseinandergeklappten Flügeln auf dem Blatt Papier in der Sonne (siehe oben). Das tat uns allen sehr leid, aber unser Profi-Insektenfänger, der Schnappi, war in dem Moment partout nicht auffindbar (Anm. d. Red.: Für alle die den Schnappi nicht kennen, hier der Link: www.snapy.de).

Rätsel lösen

Über die Beschreibung des geheimnisvollen Tieres fand ich im Internet schnell den Hinweis auf eine Eintagsfliege. Ohje. Eine Eintagsfliege, deren Leben nun unglücklicherweise auch noch durch einen Unfall verkürzt wurde.

Ich hatte noch nie vorher eine Eintagsfliege gesehen und ich habe sie mir auch immer ganz anders vorgestellt. Eher wie eine millimetergroße Mücke, wie man sie im Sommer in Schwärmen im Gegenlicht tanzen sieht. Auf keinen Fall so wie das gut zwei Zentimeter lange Wesen, das jetzt tot auf meinem Balkon lag und eine Hauptrolle in einem Sience-Fiction-Film hätte übernehmen können.

Im nächsten Schritt versuchte ich herauszufinden, ob die Münchner Eintagsfliegen-Arten dokumentiert sind. So stieß ich durch die Lektüre eines wissenschaftlichen Artikels über „Eintagsfliegen im südlichen Bayern“ auf Dr. Lars Hendrich, Mitarbeiter der Zoologischen Staatssammlung, der mich freundlicherweise an DEN Experten für Münchner Eintagsfliegen weitervermittelte. Der sehr nette Dr. Stefan Koch bestimmte die Fliege nicht nur umgehend, sondern schickte auch noch für meine Blog-Leser weitere spannende Informationen.

„Diese Eintagsfliege ist auf Grund der Flügeladerung eindeutig der Familie der Heptageniidae zuzuordnen“, erklärt Entomologe Stefan Koch.

Rarität aus der Isar

Er schreibt: „Diese Eintagsfliege ist auf Grund der Flügeladerung eindeutig der Familie der Heptageniidae zuzuordnen, für die die zwei Paar langen Interkalaradern im Cubitalfeld des Vorderflügels typisch sind. Durch die Flügelzeichnung – die dunkel gesäumten Queradern – weist sich die Eintagsfliege klar als Subimago von Rhithrogena germanica aus. (Anm. d. Red.: Zur Illustration schickte er mir das Foto mit der Markierung zurück.) Es handelt sich übrigens um ein weibliches Tier, was an den im Vergleich zu den Männchen relativ kleinen Augen erkennbar ist. In der artenreichen Familie Heptageniidae ist Rhithrogena germanica eine der ganz wenigen Arten, bei der die Bestimmung von weiblichen Subimagines möglich ist. Bei den übrigen Arten sind nur die männlichen Imagines und die nur durch mikrokopische Untersuchung bestimmbar.

Die Art gilt als selten, kommt jedoch in mehreren bayerischen Voralpenflüssen vor. Ihre Larven konnte ich in der Isar südlich und nördlich von München nachweisen. Ihr Vorkommen im Stadtgebiet Münchens ist sehr wahrscheinlich und die Entfernung von der Isar zu Ihrer Wohnung von ca. vier Kilometern ist für die recht schnell fliegende Art kein Problem.

Die Art schlüpft übrigens sehr früh im Jahr. Je nach Witterung kann ihre Flugzeit von Februar bis April reichen. Wegen der Flugzeit und der bräunlichen Färbung ist sie bei Fliegenfischern auch als „Märzbraune“ bekannt.

Leider muss ich Sie in einem Punkt enttäuschen: Die Eintagsfliege wurde sicher nicht wegen der einheimischen Pflanzen auf dem Balkon angelockt. Subimagines und Imagines von Eintagsfliegen können wegen fehlender Mundwerkzeuge keine Nahrung aufnehmen. Auch der Duft von Blüten dürfte für sie völlig uninteressant sein.“

Auf Wiki-Commons habe ich noch ein wunderschönes Makrofoto einer Münchner Eintagsfliege der Art Märzbraune von Richard Bartz gefunden. So sah sie aus, als ich sie entdeckt habe.

 

Eine weibliche Subimago (ein geflügeltes Vorimaginalstadium) der Märzbraune (Rhithrogena germanica) aus der Familie Heptageniidae. Die Eintagsfliegen (Ephemeroptera, auch Ephemoptera; von gr. ephemeros – eintägig, pteron – Flügel) sind die ursprünglichsten unter den Fluginsekten (Pterygota). Es gibt sie schon seit 200 Millionen Jahren. Die Eintagsfliegen bilden eine Ordnung innerhalb der Klasse der Insekten (Insecta). Von den bekannten 2.800 Arten leben in Mitteleuropa mehr als 100. (© Richard Bartz, München, aka Makro FreakOwn work, CC BY-SA 2.5, Link)

 

Postscriptum

Ich wusste zwar jetzt den Namen, aber erst nach einigen Tagen fiel mir ein, woran mich das Wesen eigentlich dauernd erinnert hatte. An dieses Fabeltier, das die Speisekarte im Wirtshaus „Zum Fischermeister“ am Starnberger See ziert: Eine Renke mit Flügeln und Hühnerbeinen.

Gasthaus-Logo: Geflügelte Renke mit Hühnerbeinen

 

Der Bierbichler

Das Gasthaus in Ambach gehört dem Schauspieler und Schriftsteller Sepp Bierbichler. Wenn man Glück hat, sitzt er auch drin oder schlurft durch die Gaststube, wie er im Film „Der Knochenmann“ als Wirt und Mörder Löschenkohl durchs Bild schlurft, während im Keller die Leichen in der Kühlkammer neben den Schweinehälften hängen.

Legendär wurde der Ort in den 70er-Jahren durch die Wohngemeischaft Bierbichlers mit dem eigensinnigen Künstler und Filmemacher Herbert Achterbusch im „Ambacher Exil“. Achternbusch war seinerzeit mit Bierbichlers Schwester liiert. („Am Starnberger See kann viel Zeit vergehen, und auf einmal hast du doch wieder Lust, deinen Mund auf einen anderen zu pressen und an ihre blonde Brust zu langen, denn bald genug schreist du aus der Hölle: So einen Saustall wie ihr oben habt, können wir in der Hölle nicht brauchen.“ Aus dem Achternbusch-Roman „Land in Sicht“ )

Sepp und Annamirl spielten auch in seinen Filmen mit, unter anderem in „Das Gespenst“, einem Werk, das 1982 wegen Blasphemievorwürfen einen Skandal auslöste. Laut Wikipedia ist der Film in Österreich gemäß § 188 StGB (Herabwürdigung religiöser Lehren) noch heute verboten. Zu Bierbichler und Achternbusch gäbe es viele weitere schöne Geschichten, die sich aber thematisch nicht für diesen Blog eignen. Ich bin ja heute eh schon sehr weit vom Thema abgekommen.

„Der Bierbichler“ vom Steg aus fotografiert. Links daneben ist die Bonsels-Villa. Von der habe ich leider kein Foto gemacht.

Status statt Revolution

„Der Bierbichler“, wie das Lokal von vielen genannt wird, ist bei Münchnern als Ausflugsort beliebt. Es stehen oft sehr teuere Autos auf dem Parkplatz. Man trifft aber auch Normalos, also Golf-Fahrer, wie uns und werktags auch Einheimische.  An einem Freitag saßen einmal ein Vater und sein Sohn aus dem Nachbarort mit uns am Tisch. Der sagte: „Wir kommen immer am Freitag mit dem Radl. Am Wochenende kann man nicht raus, da kommen die blonden Trophäenschubserinnen mit ihren Kinderwagen aus München.“ Vom Geist der Rebellion und Kunst ist jedenfalls in diesen Mauern nichts mehr zu finden. Die Gastronomie wird seit Mitte der 80er-Jahre von einer Münchner Gesellschaftergruppe geführt. Es ist wie bei einer Entkernung: Die Fassade steht noch, im Inneren ist aber nicht mehr das Alte, Urige, Authentische, nur noch die Erinnerung daran. Das Ambiente könnte man heute beschreiben als Münchner Restaurant in einem ehemaligen bayerischen Wirtshaus.

Die Biene Maja

Eine kleine entomologische Anknüpfung an Ambach und Bierbichler gibt es aber doch. Der direkte Nachbar war von 1919 bis 1952 Waldemar Bonsels, der Schöpfer der Biene Maja. Seine Villa, in der er bis zu seinem Tod lebte und arbeitete, steht noch, wurde 2014 renoviert und gehört heute der Waldemar-Bonsels-Stiftung.

Mehr Informationen:

Artikel von Fliegenfischern über die Märzbraune

Wikipedia: Eintagsfliegen

Wirtshaus „Zum Fischermeister“

Josef Bierbichler

Achternbusch in Ambach: Feiersalamandermarmelad

Waldemar Bonsels Villa in Ambach

3 Kommentare zu “Die Fliege, die nicht isst

  1. Ein wirklich urzeitlich wirkendes Tier.

  2. Wow, was für ein tolles Erlebnis! Mir gings wie dir, ich dachte immer, Eintagsfliegen wären total winzig. Die sehen wunderschön aus. So filigran, elfenhaft! Ich glaube, es gibt noch andere Insekten, die, wenn sie „fertig“ sind, keine Nahrung mehr aufnehmen. Waren es Käfer oder so mancher Schmetterling? Ich habs vergessen. Die Bestimmung anhand feinster Details ist ja der Wahnsinn! Da kann der Laie doch nur noch staunen. Immerhin hast du in München anscheinend immer den passenden Spezialisten vor Ort, der dir weiterhelfen kann. Das ist doch toll. Eine schöne Reportage über ein so schönes Insekt. Vielen Dank!! Der Nachtrag über das Gasthaus ist ja auch noch ganz interessant. Mit schmunzelnden Grüßen von hier 🙂 Almuth

  3. Nun habe ich kurz vorm ins Bett gehen auch noch etwas über Eintagsfliegen gelernt. So soll es sein. Danke für die Info.
    Ich hab heute mein erstes Pfauenauge des Jahres gesehen. Hoffentlich habe ich mir dieses Jahr insektenfreundlichere Blumen ausgesucht als letztes Jahr. Na, zumindest der Borretsch ist Himmelerprobt. Was die Kleinen Flieger zu Gewürztagetes und Bohnenkraut sagen, wird sich herausstellen.
    Ein schöner Blog. Freut mich total, dass ich den entdeckt habe – naja, in nem Podcast über Bienen darüber gehört und sofort abonniert.

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